Was tun, wenn Alkohol die Partnerschaft bedroht?
- Oliver Masch

- 13. Mai 2022
- 3 Min. Lesezeit

Liebessätze wie „Ich vermisse dich“ findest du in vielen Filmen. „Der Rausch“ mit Mads Mikkelsen ist ein bewegendes Beispiel dafür.
Es lohnt sich, den Film anzuschauen, auch wenn du ihn schon mal gesehen hast. Vielleicht diesmal gemeinsam mit deinem Partner oder deiner Partnerin. Vor allem wenn du dich für die Thematik „Alkohol und Partnerschaft" interessierst.
So viel will ich schon mal verraten: Der Film zeigt eindrücklich, was geschehen kann, wenn der suchterkrankte Partner sich für die Beziehung entscheidet.
Es ist ein beeindruckender Schritt, der von seiner Partnerin unterstützt wird, ein „Liebesrausch", der (vielleicht) Hoffnung macht.
Dabei werden entscheidende Fragen angeschnitten:
Wie können wir uns vor Suchtprozessen schützen?
Gibt es ein Gegenmittel?
Aus bindungstheoretischer Sicht gibt es eine klare Antwort: Beziehungen, die sich sicher anfühlen, können uns schützen!
Es kann in bestimmten Fällen wie ein "Gegenmittel" wirken! Was können wir also tun, wenn Alkohol die Partnerschaft gefährdet?
Um tragfähige Beziehungen aufzubauen, müssen wir die Frage stellen, welchen Einfluss Suchtprozesse auf den negativen Beziehungstanz haben.
„Ich bin doch da, die ganze Zeit!“, schreit Martin seine Frau sinngemäß in dem Film „Der Rausch“ an, als sie ihn verzweifelt zur Rede stellt.
Die Suche nach Trost und Erleichterung außerhalb der Beziehung kann schwerwiegende Folgen haben: es wird immer schwieriger, sich auf den anderen emotional einzulassen.
Durch die Bindungsbrille betrachtet verbirgt sich hinter Suchtprozessen die Sehnsucht nach emotionaler Verbindung. Wir erinnern uns: wenn wir unsere Sorgen und Nöte miteinander teilen, können wir unsere Emotionen besser regulieren.
Der Griff zur Flasche ist gleichsam der verzweifelte Versuch, negative und belastende Emotionen „alleine“ zu regulieren.
Wer mehr zum Thema „Alkoholabhängigkeit“ erfahren möchte, kann sich gerne meine Mindmap herunterzuladen.
Nun aber zum Film: Mads Mikkelsen spielt Martin, einen Lehrer, der sich selbst nicht mehr spürt. Er unterrichtet Geschichte, scheinbar so leblos, dass seine Schüler beinahe im Unterricht „einschlafen“.
Eltern beschweren sich. Er greift zur Flasche. Nicht nur er. Auch seine Freunde, ebenso Lehrer, jedoch unter dem Vorwand, ein Experiment durchzuführen: angeregt durch die Promille-Theorie eines norwegischen Psychiaters halten sie ihren Alkoholpegel auf 0,5 Promille konstant.
Tatsächlich kommt anfangs mehr Schwung in Alltag und Beruf. Gleichzeitig entfernt sich Martin immer weiter von Annika, die allmählich bemerkt, dass da etwas nicht stimmt.
Alkohol als Trostpflaster.
0, 5 Promille reichen bald nicht mehr aus: durch die Toleranzentwicklung lässt die Wirkung nach. Das „Trinkexperiment“ gerät außer Kontrolle. Nach einer heftigen Auseinandersetzung scheint die Beziehung vor dem Aus zu stehen. „Du warst die ganze Zeit nicht da“, sagt seine Frau und verlässt ihn über Nacht.
Martin rappelt sich auf, erkennt nicht nur seinen eigenen Anteil, sondern spürt auch seine Liebe, die Verbindung und den Halt, die ihm fehlen.
Die Beziehung retten durch Teilen der Kernemotionen
In einer entscheidende Szene im Café lässt er sein Herz sprechen. Er strahlt Ruhe, Klarheit und Kraft aus. Kaum Selbstmitleid. Im Hinterkopf hat er sicherlich noch die Worte seines Freundes, der jedoch bald sterben wird: „Annika und du, das ist es.“
Liebessätze können eine große Wirkung haben, wenn wir unser Herz sprechen lassen, d. h. unsere primären Emotionen wie Trauer, Freude und Angst sind spürbar.
Es ist dennoch nachvollziehbar, dass Annika diese Worte noch nicht erreichen können. Der Zweifel ist zu groß. Sie blockt scheinbar „kalt“ ab, jedoch aus Angst, noch mehr verletzt zu werden. „Ich kann es verstehen“, scheint Martin mit seinen Blicken zu sagen, „ich bin da und warte: ich will dich wieder spüren, so wie du bist.“ Seine Angst, sie ganz zu verlieren, ist zu spüren.
Etwas später feiert Martin mit den Abiturklassen am Hafen ihren Abschluss und legt, nachdem er ein paar Schlücke Alkohol getrunken hat, unvermittelt einen ekstatischen Tanz hin.
Natürlich wissen wir nicht, ob er es schafft, davon wirklich loszukommen. Dieser Tanz drückt dennoch Zuversicht und Gewissheit aus. Zuvor hat Martin eine SMS von Annika erhalten: „Ich vermisse dich.“
Noch mehr: sie teilt auch die Trauer um seinen Kollegen. Das ist stark. Das geht unter die Haut, denn beinahe hätte er alles verloren: seinen Job, seine Familie und vielleicht sogar sein Leben.
In jedem anderen Film wäre der Protagonist nach solch einer SMS sofort zu seiner Frau gefahren!
Es scheint jedoch tatsächlich wie ein Liebesrausch zu sein, der ihm den Halt gibt, auch sich selbst nicht mehr zu verlieren.
Und Martin genießt sichtbar diesen Augenblick, alleine, in dem er tanzend spürt, dass Annika und er es schaffen können, wieder einen gemeinsamen Weg zu gehen.
Die Schlussszene in dem herausragenden Film „Der Rausch“ von Thomas Vinterberg lässt sich daher auch als Liebeserklärung interpretieren.
